Autor Sally Perel liest für Zehntklässler in Spenge aus seiner Biografie „Ich war Hitlerjunge Salomon“
Spenge. Sally Perel ist fast noch ein Kind, als das Leben für ihn zur Zerreißprobe wird. Als Jude lebt er im Dritten Reich – allerdings nicht in einer jüdischen Gemeinde, sondern in einem Hitlerjugend-Internat. In seiner Biografie „Ich war Hitlerjunge Salomon“ verarbeitet der heute 89-Jährige seine Geschichte. Diese teilt er mit knapp 200 Zehntklässlern der Regenbogen-Gesamtschule und Realschule.
„Konnte Sally Perel nach allem, was ihm passiert ist, jemals wieder glücklich werden?“, fragt sich der 15-jährige Christian bevor er Perel kennenlernt.
Vier Jahre unter Nazis, vier Jahre in stetiger Angst davor, entdeckt und getötet zu werden. Trotzdem: „Mein tief verankerter Lebenswille, der blieb.“
Perel wird 1925 in Peine, nahe Braunschweig, geboren. 1935 wird er in Anwendung der Nürnberger Rassengesetze der Schule verwiesen, die Familie muss ihr Schuhgeschäft verkaufen und geht nach Lodz in Polen. 1939 marschieren die deutschen Truppen ein, die Familie erfährt, dass alle Juden in ein geschlossenes Ghetto gebracht werden sollen. Die Mutter beschließt, dass er und sein älterer Bruder sich nach Russland durchschlagen sollen. Vater und Mutter bleiben zurück. Er wird sie nie wiedersehen.
Perel schafft es in ein russisches Waisenhaus in Grodno. 1941 muss er auch von dort fliehen. Er wird von der Wehrmacht gefasst, als er sich in einem Dorf vor Minsk aufhält. Ein außergewöhnliches Schicksal beginnt. „Ich sagte einfach, dass ich Deutscher sei.“ Er kommt damit durch, arbeitet zwei Jahre als deutschrussischer Übersetzer an der Front. 1943 wird er auf das Hitlerjugend-Internat nach Braunschweig versetzt.
„In mir wuchsen zwei Seelen heran“, sagt der Autor. Ein Teil in ihm kann sich mit den Idealen und Werten des Dritten Reichs mehr und mehr identifizieren. „Die Hakenkreuze auf meiner Uniform habe ich nicht nur auf mir getragen, sondern zum Teil auch verinnerlicht.“ Dann gibt es die andere Seele, jene, die sich als Jude fühlt und die schlimmen Machenschaften durchschaut. Perel: „Während ich mit den Nazis ?Es leben der Sieg? sang, wurden Millionen von Säuglingen in Auschwitz verbrannt.“
Jahre später besucht er das Konzentrationslager in Auschwitz: „Dort standen sie in den Baracken – die Schuhe der Kinder; neben ihren Haarlöckchen. Es war so erschütternd.“ In dem Augenblick wird ihm klar, „solange mich meine Schuhe tragen, werde ich zu der Jugend fahren und meine Geschichte erzählen.“ Denn die Geschichte sei die beste Lehrmeisterin, sie zeige, wo die Fehler passiert sind.
Für die Schüler der Jahrgangsstufen Zehn der Regenbogen-Gesamtschule sowie der Realschule Spenger eine besondere Möglichkeit, dem Zweiten Weltkrieg näher zu kommen, als es mit Geschichtsbüchern möglich ist. „Bereits vor zwei Jahren war Sally Perel bei uns“, sagt Christian Landerbarthold, Abteilungsleiter an der Gesamtschule für die Jahrgänge Acht bis Zehn.
In diesem Jahr sind die Zehntklässler der Realschule zu der Lesung eingeladen. Die haben das Thema im Deutsch- und Religionsunterricht zwar schon durchgenommen, „aber hier erfahren wir von jemanden der dabei war, wie es tatsächlich war“, sagt die 15-jährige Jana.
Während der ganzen Zeit hat sich Perel selbst oft verurteilt, für sein Handeln als Hitlerjunge und irgendwann auch sich selbst als Jude: „Ich fragte mich, warum ich als Jude geboren werden musste.“ Seinen Frieden hat er mittlerweile gefunden, denn „das Recht auf Leben hat jeder.“ Eine Grenze gibt es dennoch: „Niemals hätte ich jemanden erschossen.“
Foto: Erzählt den Schülern von seinen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg: Der jüdische Autor Sally Perel findet, dass jeder, der in Deutschland lebt, die deutsche Geschichte kennen muss. Nur so könnten sich alle dazugehörig fühlen. Die knapp 200 Schüler lauschten gespannt und stellten im Nachhinein noch Fragen.
NW, Artikel von Donnerstag 06.03.2014